Ronja Kieffer

© Bert Bostelmann

seit April 2020
Promotionsstipendium der Stiftung Bildung und Wissenschaft im Stifterverband für die deutsche Wissenschaft für das Projekt "Konfligierende (Ko-)Existenz in der Kaliindustrie zwischen Werra und Fulda"

Oktober 2017-März 2020
Studium Geschichte, Schwerpunkt Neuzeit (M.A.) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Dezember 2014-Februar 2020
Studentische Hilfskraft im Arbeitsbereich Neueste Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Oktober 2012-Oktober 2017
Studium Geschichte und Spanisch (B.A.) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Kontakt: rkieffer@uni-mainz.de

 

Promotionsvorhaben

"Interaktion im geteilten Wirtschaftsraum – Deutsch-deutsche Unternehmensbeziehungen in der Kaliindustrie im Werra-Revier (1945–1989)"

Als im Oktober 1893 an der Werra erstmals Kalisalze gefunden wurden, hatte das „Kalifieber“ in Deutschland bereits um sich gegriffen. Die Funde der Bankiersfamilie Hadra im thüringischen Kaiseroda waren die Geburtsstunde des Kalibergbaus im Werra-Gebiet, das sich zwischen Eisenach in Westthüringen und der Region um die osthessische Stadt Fulda entlang der Flüsse Werra und Fulda erstreckt. Sie hatten enorme Konsequenzen für die eher industrieschwache, bis dahin stark landwirtschaftlich geprägte Region. Dank des weltweit einzigartig hohen Kieserit-Gehalts seiner Kalivorkommen entwickelte sich das Revier schnell zu einer bedeutenden Wirtschaftsregion. Die dort fördernden Unternehmen profitierten bald wie die gesamte Branche vom „Kalihunger der ganzen Welt“, der aus der begründeten Hoffnung resultierte, mithilfe von Kali als Ausgangsprodukt für hochwertige Düngemittel den Hunger als Massenphänomen zu beenden.

Das Ende des Zweiten Weltkriegs brachte einen tiefen Einschnitt für das Werra-Revier mit sich: Die Grenze zwischen US-amerikanischer und sowjetischer Besatzungszone verlief entlang der hessisch-thüringischen Landesgrenze und teilte folglich das Revier. In den kommenden Jahrzehnten verlief die Entwicklung des Kalibergbaus auf beiden Seiten der innerdeutschen Grenze unter unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen.

Die politische Teilung des Reviers ist in der Forschung gewissermaßen auf die historiographische Ebene übertragen worden, indem die Geschichten der Kaliindustrie an Werra und Fulda in der Regel parallel erzählt, die Entwicklungen auf beiden Seiten der innerdeutschen Grenze getrennt voneinander beschrieben werden. Ein solches Vorgehen verstellt den Blick sowohl auf mögliche grenzübergreifende Kontinuitäten als auch auf Konflikte und deren Verarbeitung. Bisher nicht erforscht ist zudem, ob neben politischen Kontakten auf Staatsebene auch zwischen den Unternehmen und Betrieben im Werra-Revier grenzübergreifende Interaktionen stattgefunden haben. Insbesondere im Hinblick auf abbaubezogene und umweltrechtliche Fragen sind (konflikthafte) Kontakte auf der Unternehmensebene durchaus zu vermuten. Hier setzt das Dissertationsprojekt an.

Die Staatsgrenze zwischen BRD und DDR wird als Quelle von politischer Unsicherheit begriffen, mit der die Kaliunternehmen und -betriebe im Werra-Revier nach 1945 konfrontiert waren. Im Sinne eines systemtheoretischen Verständnisses von Grenzen als zugleich trennende und verbindende Elemente stellen sich also die folgenden Fragen: Wie manifestierte sich die Staatsgrenze in den Beziehungen zwischen den ost- und westdeutschen Unternehmen? Welches Grenzmanagement betrieben diese vor dem Hintergrund des politischen und wirtschaftlichen Systemkonflikts?

Auf der Suche nach Antworten auf diese und weitere Fragen wird das Verhältnis zwischen formalen und informellen Institutionen bei der Reduzierung und Bewältigung der durch den Systemkonflikt erzeugten politischen Unsicherheit beleuchtet. Es wird nach Lücken im regelorientierten Handeln gesucht und untersucht, ob es alternative Ordnungen und/oder Verflechtungen etwa sozialer oder ökonomischer Art gab, welche die hegemoniale Territorialisierung unterliefen. Dies geschieht am Beispiel von zwei den Grenzraum unmittelbar betreffenden Bereichen: dem Kaliabbau und der Entsorgung von Produktionsrückständen. Die jeweiligen berg- und umweltrechtlichen Rahmenbedingungen sollen auf ihre jeweilige rechtliche Normativität hin überprüft und möglichen informellen Regelungen, also etwa inoffiziellen Absprachen, nichtformalisierten Praktiken etc. gegenübergestellt werden.

Unter Einbeziehung grenzsoziologischer Ansätze wird das Thema aus institutionenanalytischer Perspektive beleuchtet. Zudem orientiert sich die Arbeit am handlungstheoretischen Ansatz der Geographischen Konfliktforschung. Dabei richtet sich die Betrachtung auf die einzelnen Akteure, hier also die ost- und westdeutschen Kaliunternehmen an der Werra, die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen und die räumlichen Strukturen im geteilten Wirtschaftsraum Werra-Revier. Zu ergänzen sind dabei noch die natürlichen Ressourcen, also in erster Linie der Rohstoff Kali sowie etwa die Flüsse Werra und Weser.
Am Beispiel der Kaliindustrie im Werra-Revier will das Dissertationsprojekt so einen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte von 1945 geteilten Unternehmen sowie zur deutsch-deutschen Unternehmens- und Umweltgeschichte leisten.

 

Publikationen

Ronja Kieffer u. Eva-Maria Roelevink: Wirtschaft, Stoffe und das institutionelle Setting. Zur ökonomischen "Codierung" von Kohle und Kali, in: Sebastian Haumann, Eva-Maria Roelevink, Nora Thorade u. Christian Zumbrägel, Christian (Hgg.): Perspektiven auf Stoffgeschichte. Materialität, Praktiken, Wissen, Bielefeld 2023, S. 207-227. <https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-6894-0>

Ronja Kieffer: Tagungsbericht: Cultural Industries along the Rhine: Nationalism versus Internationalism, 19.05.2022 – 21.05.2022 Winkel/Eltville, in: H-Soz-Kult, 28.06.2022, <http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-128111>.

Ronja Kieffer: Tagungsbericht: Nachgeholte Historisierung? Der Braunkohlenbergbau als Herausforderung für Geschichtswissenschaft und -vermittlung, 02.12.2021 – 03.12.2021 hybrid (Halle an der Saale), in: H-Soz-Kult, 01.02.2022, <www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-9286>.

Ronja Kieffer: Schicksalsvergleich oder Opferkonkurrenz? Einwanderung in die Bundesrepublik Deutschland im Urteil der deutschen Vertriebenenverbände (1945-1989). In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 69 (2021), S. 949-968.

Ronja Kieffer: Tagungsbericht: Vom akademischen Elfenbeinturm zum Studium Generale, 08.11.2018 – 09.11.2018 Mainz, in: H-Soz-Kult, 10.01.2019, <www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-8052>.